Bargeldabschaffung

Rezension: Norbert Häring "Schönes neues Geld"

 

Welt ohne Bargeld - eine Welt zum Gruseln!?

Ruhig ist es derzeit in den Medien um das Thema Bargeldabschaffung. Das allerdings dürfte den Kräften, die dieses Thema weiter vorantreiben, nur recht sein: „Im Dunkeln ist gut Munkeln“. Und die Kampagne gegen das Bargeld läuft derzeit eher in Entwicklungsländern in Afrika und in Indien – also beruhigend weit weg von uns. Wirklich beruhigend?

Wer das Buch des Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring zum Thema liest, befallen an dieser Diagnose heftige Zweifel. „Schönes neues Geld“ ist eine schonungslose Bestandsaufnahme der Aktivitäten rund um den Globus gegen das Bargeld. Und die Ziele dieser Aktivitäten sieht Häring in einer totalen Überwachung und damit Abhängigkeit aller Bürger/innen. Beim Lesen kam mir schon der Gedanke „Verschwörungstheorie“. Leider (!) nimmt Häring dem Leser diese Ausweichreaktion: Er belegt alle seine Recherchen und Hinweise mit Quellen-Nachweisen.

Das Infame daran: Bargeldabschaffung und Digitalisierung gehen Hand in Hand. Oder noch genauer: Biometrische Erfassung und Bargeldabschaffung gehen in einander über. Wir schauen nach China und dem dort sich dynamisch entwickelnden Wohlverhaltens-Scoring der Bürger und denken wieder: weit weg. Die Technik dafür gibt es. Das heißt: Diese Technik wird eingesetzt. Häring zeigt, in welchen Ländern und wie. Und damit ist sie auch bei uns einsetzbar. Und spielen wir mit unserem täglichen Einkauf- und Zahlungsverhalten den Kräften dieser Kampagne nicht in die Hände?!

Und jetzt kommt das Entscheidende: Die Netzwerke hinter der Bargeldabschaffung sind sehr weit gefächert. Selbst Institutionen, die ich als unbeeinflussbar eingeschätzt hätte, sind längst eingebunden und betreiben die Kampagne (unbewusst?) mit. Ausgangspunkt ist die „Better Than Cash Alliance“ mit MasterCard, Visa, der Stiftung von Bill Gates (!) und dem US-Außenministerium als Kernmitgliedern – so Häring. Außerdem gibt es die „Globale Partnerschaft für finanzielle Inklusion“ mit dem Ziel, „die Digitalisierung des Zahlungsverkehrs und die biometrisch-digitale Erfassung aller Bürger weltweit umzusetzen“. Wenn man sich die Partner anschaut, wird klar: Geldverdienen und Überwachung gehen Hand in Hand. Und je abhängiger ich Menschen von meinen Angeboten mache, desto mehr Geld verdiene ich (man nennt das Monopole – heute sprechen wir vornehmer von Plattform-Ökonomie).

Zurück zu den Netzwerken: Mit von der Partie sind die G20, die G7, das Weltwirtschaftsforum Davos ja sogar der Baseler Ausschuss für Bankenregulierung. Alle sind sie eingebunden und betreiben das Geschäft der Bargeldabschaffung mit. Es ist doch schön, wenn die Bankenaufsicht als „neutrale“ Instanz beim Thema mitmacht.

Und dann der positiv besetzte Begriff „finanzielle Inklusion“. Häring fragt, was ein afrikanischer Bürger mit weniger als zwei Dollar Tageseinkommen davon hat, wenn er nur noch bargeldlos zahlen kann und dafür aber natürlich (!) Gebühren an den Zahlungsverkehrsanbieter zahlen muss – von seinem Mini-Einkommen (in Kenia an einen britischen Anbieter bis zu 40 % Transaktionskosten)? Und was denken wir darüber, dass dies „in mehreren großen Ländern schon zu MasterCard-Bezahlkarten geführt (hat), die als staatliche Personalausweise fungieren“.

Das einzig wirkliche „inklusive Zahlungsmittel“ ist Bargeld, so Häring. Und seine Argumentation ist schlüssig: Nur Bargeld gibt uns Unabhängigkeit zum Beispiel vom Ausfall der Infrastruktur, von Bankpleiten, von Negativzinsen und auch vom Staat selber.

Nutzen Sie Paypal? Haben Sie schon einmal nachgelesen in den PayPal-AGB, an wen PayPal alle (!) Ihre Daten weiterleitet? Sollten Sie mal tun. Nur einige Beispiele führt Häring auf den Seiten 168 – 170 an: Von Creditreform über die Schufa, Telefonica und weitere in den USA. Und diese dürfen selber Ihre Daten dann wiederum unbegrenzt weiterleiten. Die Liste im Original umfasst laut Häring „viele Dutzend Seiten“. Gilt dann immer noch der so oft geäußerte Satz „ich habe nichts zu verbergen“? Was und wozu und wann werden diese Empfänger Ihre Daten nutzen?

Was wir tun können? Uns nicht einschläfern lassen von der derzeitigen Medien-Ruhe. Unser eigenes Kauf- und Zahlungsverhalten und den Umgang mit unseren Daten überprüfen – und ggf. ändern. Schlicht wieder mehr Bar bezahlen. (siehe dazu auch: http://norberthaering.de/de/bargeldchallenge). Vielleicht keine Kreditkarte mehr benutzen – denn alle Anbieter sind mit im Spiel der Bargeldabschaffung. Unsere gewählten Volksvertreter/innen immer wieder auf das Thema Datenschutz und Überwachung ansprechen: Warum eigentlich diskutieren wir heftig über drei oder sechs Monate Vorratsdatenspeicherung und nicht über die Unendlich-Speicherung unserer Daten durch sämtliche Online-Händler und „soziale“ Netzwerke?

Wenn Sie weiter und vertieft darüber nachdenken (und sich ein bisschen gruseln) möchten: Norbert Häring „Schöne neue Welt“, campus, ISBN 978-3-593-50914-3 (Print), € 19,95

P.S. Am besten nicht über Amazon bestellen: Sie könnten dort im Algorithmus als Bargeldgegner registriert werden. Ihr Buchhändler um die Ecke bestellt das Buch gerne für Sie!

P.S. 28.06.2019: Mit der Facebook-Erfindung "Libra" wird dieses Thema aus meiner Sicht noch wichtiger. Denn die oben angesprochenen in Afrika agierenden Unternehmen sind - natürlich - auch Partner bei Libra.